Wunderheilung? Du warst wohl nie wirklich krank…
Ich habe letzte Woche ein neues Video hochgeladen, in dem ich erzählt habe, dass es mir besser geht und dass ich wieder arbeiten werde. Dass dann weniger Videos kommen und ich momentan auch keine Video-Kooperationen mit anderen YouTubern mitmachen werde. Ich wollte einfach mal etwas Positives erzählen denn wenn man irgendwelche sozialen Netzwerke öffnet, sieht man nur Mord- und Totschlag, Krankheiten und Gejammere. Ich dachte eigentlich, dass positive Dinge schön sind und das sich andere Menschen vielleicht mit mir mit freuen bzw. für mich mit freuen können. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.
Unfassbar, was ich da lesen musste…
Ich erzählte davon, was ich alles erlebt habe, wie gut es mir momentan geht und das ich wie gesagt wieder arbeiten möchte. Das sind alles Dinge, die mich gerade sehr glücklich machen. Nicht nur mich, sondern auch meine Familie. Und das wollte ich meiner Community auch mitteilen, da einige ja mitbekommen haben, wenn es mir nicht so gut ging. Doch dann traute ich meinen Augen kaum. Jede Menge Disslikes und was ich als Kommentar lesen musste, lies mich am Verstand der Menschheit zweifeln.
„Wunderheilung?“
„Dann kannst Du nie wirklich krank gewesen sein!“
„Ich weiß, dass ich niemals mehr arbeiten gehen kann!“
„Ohne Klinik schafft man das nicht!“
Das hier ist nur ein kleiner Teil von dem, was ich lesen musste. Nun, ich muss mich nicht rechtfertigen und das werde ich auch nicht. Allerdings finde ich es anmaßend und frech, solche Behauptungen aufzustellen. Und wenn die Dame, die gerade Anfang 30 ist der Meinung ist, dass sie nie wieder arbeiten kann, tut sie mir einfach nur leid. Ich dachte, dass ich es auch nicht mehr kann. Aber nach meiner schlimmsten Zeit habe ich mich selbstständig gemacht. Das bin ich jetzt seit sieben Jahren. Und da ich mich jetzt eben bereit dazu fühle, will ich wieder zusätzlich arbeiten. Mein Kleingewerbe behalte ich denn ich kann mir diese Arbeit ja einteilen, wie es zu mir passt.
Was ich aber heftig finde waren die Sätze wie Wunderheilung und dass ich dann ja nie krank gewesen sein kann. Ich habe mit meiner Angst- und Panikerkrankung (Generalisierte Angststörung) seit 23 Jahren zu kämpfen. Dazu kamen Depressionen und auch verstärkt Phobien. Dann noch Krankheitsängste und eine soziale Phobie. Meine Psychologin meinte, dass das alles durch ein Trauma ausgelöst wurde. Was das war, kann ich mir denken aber ich gebe dem Umstand nicht die ganze Schuld. Ich bin zu einem großen Teil selbst schuld, da ich mich der Angst unterworfen habe. Ich habe mich ihr absolut hingegeben und sie beherrschte mich.
2008 bekam ich ja meinen schlimmen Zusammenbruch. Ich habe darüber in dem Artikel „Blogger machen Mut“ schon recht ausführlich berichtet und auch zwischendurch immer mal geschrieben, wie es mir geht. Ich war immer ehrlich, was meine Psyche und meine psychische Erkrankung betrifft und dann muss man lesen, dass man wohl nie wirklich krank war? Unfassbar…
Ich konnte eine ganze Zeit lang weder an den Briefkasten, noch alleine duschen oder zur Toilette. Ich hatte 24h pure Panik. Eine gute Online-Freundin, die das gleiche Schicksal plagte, hat mich manche Nacht abgelenkt, damit ich nicht durchdrehe. Meine Familie war verzweifelt und hilflos. Ich habe wichtige Termine und Feierlichkeiten wie zum Beispiel die Kommunion meiner Tochter nicht wahrnehmen können. Ich konnte geliebte Menschen nicht besuchen und dachte 24h nur daran, dass ich sterben muss. Ich hatte schlimme Nebenwirkungen von Medikamenten, musste raus gehen erst wieder „üben“. Ich habe, als ich endlich meine erste kleine Runde gehen konnte, einen Baum umarmt und geweint vor Freude. Aber… ich war wohl nie wirklich krank.
Und jetzt? Jetzt lebe ich wieder. Mir geht es gut. Und muss dann sowas lesen? Ich war wohl noch nie wirklich krank? Nur, weil ich es mit der Hilfe meiner Familie und mit meinem starken Willen geschafft habe, dass ich ein halbwegs normales Leben leben darf? Das ich dieses Jahr das erste Mal seit vielen Jahren essen gehen konnte, dass ich letzte Woche spontan mit in die Stadt fahren konnte, dass ich wieder einkaufen fahren kann, das ich wieder Spaß haben kann und das ohne dass ich flüchte? Im Garten in Ruhe sitzen bleiben, schaffe ich auch erst das zweite Jahr… Aber ich war wohl noch nie wirklich krank.
Auf YouTube haben einige versucht, mich als Simulant hinzustellen. Als hätte ich meiner Familie das vorgespielt. Ähm… Ja, seit 23 Jahren und habe trotzdem zwei Ausbildungen absolviert und mich durchs Leben gekämpft. Ich wünsche keinem was Böses. Aber jeder, der mich als Simulant sieht oder denkt, dass das alles so nicht sein könnte… Dem wünsche ich nur eine Woche von den 5 Jahren meines Zusammenbruchs. Nur eine… ich glaube, dass selbst ein Tag ausreichen würde um am Ende des Tages heulend und verzweifelt in einer Ecke zu sitzen.
Ich war nie richtig krank? Doch, war ich! Und zwar so richtig böse. Ich weiß jetzt, dass ich das, was ich von 2008 bis 2013 erlebt und durchgemacht habe, nicht noch einmal schaffen werde. Ich würde mir vorher einen Strick nehmen! Und das sage ich nicht nur so, das meine ich auch so. Das kann ich nie niemals wieder mitmachen. Das schaffe ich kein 2. Mal… So schlimm war ich dran. Da ich da aber nie wieder hin möchte, musste ich eben kämpfen. Um jeden Schritt, um jeden Erfolg.
Denk doch, was Du willst…
Ich weiß, was ich erreicht habe. Mein Arzt meinte damals, mein Leben wäre nicht mehr lebenswert. Und jetzt? Jetzt fange ich wieder an zu leben und bekomme deswegen Disslikes oder so blöde Kommentare? Ach, denk doch, was Du willst! Ich weiß, wie hart es für meine Familie war. Wie grausam es für mich war. Ich weiß jetzt noch haargenau, wie es sich angefühlt hat. Vor allem Du… die Person, die mir diesen absolut „netten“ Kommentar geschrieben hat. Du sitzt zuhause, lässt Dich aushalten, kannst nur einkaufen, Dich schminken und putzen, hast es nötig Deine Möpse in die Kamera zu halten und Dich in Videos zu Räkeln, als würdest Du dafür bezahlt werden. Aber kannst nie wieder arbeiten gehen. Echt schön… Ich habe in den letzten Jahren immer was getan um mein eigenes Geld zu verdienen. Auch, wenn es nur mein „Taschengeld“ war. Das kann man nämlich auch von Zuhause aus. Nur mal so ein Tipp am Rande!
Ich habe die blöden Kommentare gelöscht. Sowas muss ich mir nicht antun und ich muss mir solche Dinge nicht sagen lassen. Ich halte ja nichts von dem Spruch, dass andere erst einmal in meinen Schuhen laufen sollen, um sich ein Urteil bilden zu können aber hier trifft er voll und ganz zu. Klappe halten, wenn man keine Ahnung hat und ja, Du hast ja angeblich auch Probleme?!? Soll ich dazu auch sagen, dass Du bestimmt nie wirklich was hattest? Ist sicher gut gespielt. Tolles Gefühl, oder?
Das Leben in vollen Zügen genießen
Ich genieße mein Leben mittlerweile und sehe die schönen Dinge wieder. Auch die ganz kleinen schönen Dinge. Ja, es gibt natürlich auch miese Tage. Die hat jeder Mal. Aber ich weiß, dass das Leben von jetzt auf gleich vorbei sein kann – wir haben es letztes Jahr hautnah miterleben müssen und verstehen das heute noch nicht. Das werden wir niemals verstehen… Doch mir ist dies umso mehr bewusst geworden. Ich nutze den Tag. ich stehe früh auf, erledige meine Dinge, mache den Haushalt, will wieder arbeiten, mache Sport etc. Ich bleibe nicht mehr auf der Stelle stehen. Und wenn es mir mal schlecht geht, wird das abgehakt. Davon lasse ich mich aber nicht mehr beherrschen. Und sollte ich im Winter wieder eine Depression bekommen weiß ich, dass die auch wieder vorbei geht (auch, wenn es sich in dem Moment so hoffnungslos anfühlt aber meine Familie hilft mir dabei, es zu überstehen).
Ich bin froh, dass ich meine Familie habe denn ohne sie wäre ich nicht mehr am Leben und könnte das alles nicht mehr genießen. Ich bin ihnen so unendlich dankbar – sie haben mich nicht aufgegeben und standen/stehen immer vor, hinter und auch neben mir.
Aber ich war wohl nie wirklich krank…
Ich bin verdammt stolz auf meine Familie und natürlich auch auf mich selbst!
Eure Yvonne